Wider die Schmachtlocke

Linksbüchneriade 8

 Als letztes Jahr ein angebliches neues Bildnis von Georg Büchner aus der Hand des Malers August Hoffmann aus dem Jahr 1833 auftauchte, da wurde nach dem Jubel und dem ehrfürchtigen Geraune in den Feuilletons auch begründete Skepsis geäussert – zu schön passte der Fund publizistisch zum Büchner-Jahr, und zudem verkörperte aus linksbüchnerianischer Sicht das Gemälde eine bestimmte Rezeptionsrichtung, vermittelte ein geradezu stutzerhaftes Bild des jungen Büchner, wie es schon das bislang bekannte, posthum entstandene Gemälde des gleichen August Hoffmann gegenüber der ungebärdig-authentischen Bleistiftzeichnung des Jugendfreunds Alexis Muston zu etablieren versucht hatte.

 Diese gewichtigen Einwände werden mittlerweile stillschweigend marginalisiert. Der «Tages-Anzeiger» hat am 28. März den Text von Burghard Dedner zur Eröffnung der Büchner-Ausstellung im Zürcher Strauhof unkritisch mit dem neuen «Porträt» versehen. Tatsächlich wird in der aus Darmstadt gekommenen, ansonsten gediegenen Ausstellung ebendieses Bild ohne weitere Erklärung, also als authentisch, präsentiert, während im Audiogerät das Lied gespielt wird, das sich auf der Partitur im Gemälde ausmachen lässt. Dieses Lied stammt aus dem Stück «Zampa oder Die Marmorbraut» des elsässischen Komponisten Ferdinand Hérold, das 1831 entstand, und Büchner soll sich auf dem Auftragsbild angeblich nach dem Titelhelden als Korsar verkleidet haben, mit fein gekräuselter Schmachtlocke und roter Schärpe.

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Die Grundlage für diese Deutung legt Herausgeber Ralf Beil im Darmstädter Katalog zur Ausstellung, indem er fragt, ob es denn so unwahrscheinlich sei, dass sich Büchner «in ironisch-kokettem Spiel» gegenüber der Verlobten Minna Jaeglé als Zampa inszeniert habe? Irgendwelche schlüssigen Belege dafür kann er zwar nicht anführen; ja, weder Hérold noch sein Titelheld sind bislang in Briefen, oder in der ganzen Büchner-Forschung, je aufgetaucht, und selbst im Register des Katalogs wird Hérold schamhaft unterschlagen. Trotzdem fasst Ralf Beil hartnäckig zusammen: «Die Botschaft muss also lauten: Selbst wenn am Ende bisher nicht vorliegende Belege gegen eine Darstellung Büchners sprechen sollten und die Zeichnung von August Hoffmann wider Erwarten kein Rollenporträt von Georg Büchner darstellt – entscheidend ist, dass er die Disposition dazu gehabt hätte, dass ihm dieses Spiel in dieser Form grundsätzlich zuzutrauen ist.»

 Was aber wäre Büchners Disposition angeblich zuzutrauen? Hérolds Stück ist eine opernhafte Schmonzette: Der Korsar Zampa hat ein Mädchen ruiniert und verlassen, das dann einen reichen Kaufmann heiratet, aber bald stirbt. Zampa, nach einem umfänglichen Plünderzug gerade rechtzeitig in die Heimat zurückgekehrt, hält um die Hand der Tochter seiner ehemaligen Geliebten an, indem er deren Vater, den Witwer, erpresst – wird aber schliesslich durch die Intervention der in eine Marmorstatue gesperrten Mutter in die Unterwelt verbannt. Nun wollen wir Büchner Satire und Humor, auch skurrilen, keineswegs absprechen; aber diesem Rollenspiel liesse sich doch keinerlei Witz oder Spass abringen, und was wäre denn eine passende Rolle für Minna, die, trotz aller schnöden nachträglichen Interpretationen, weder eine verlassene Geliebte, noch eine unschuldige Jungfrau oder eine Marmorstatue gewesen zu sein scheint, sondern durchaus eine aufgeklärte, selbstständige Frau. Im Übrigen bedeutet Beils Argumentation nicht nur die Umkehr jeglicher Beweislast, sondern erhebt das vage Mögliche kurzerhand zum Wirklichen, was wir ja zuweilen auch gerne wollen täten, aber uns dann doch verkneifen, um nicht in der Enttäuschung zu enden. Beil sei zugute gehalten, dass sein Spiel nicht politisch gemeint ist, sondern im Überschwang einer angeblichen Entdeckung, die die Forschung voranzutreiben versprach: Aber das Unpolitische ist bekanntlich auch politisch.

 Hoffmann_Fälschung

Aus linksbüchnerianischer Sicht jedenfalls muss das neue «Büchner»-Bildnis entschieden als Fälschung zurückgewiesen werden.

 

 

 

Die Linksbüchneriaden 6 und 7 sind weiter unten auf diesem Blog einsehbar; die Linksbüchneriaden 1 bis 5 finden sich auf http://www.stefanhowald.ch/actualities/index.php.

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