Trump als mögliche Apokalypse

«Lasst alle Hoffung fahren!» Zuweilen blickte man am 26. April im bücherraum f zu Dantes Spruch am Höllentor empor, als Philipp Löpfe die USA unter Donald Trump schilderte. Löpfe ist einer der profiliertesten Wirtschaftsjournalisten der Schweiz, ein pointierter Kolumnist für das Onlineportal Watson. Bei vielfachen Studienaufenthalten in den USA hat er sich Einblicke ins Funktionieren und die Gefühlslage des Landes verschafft; in seinem Vortrag argumentierte er ebenso material- wie bezugsreich.

Löpfe gab zuerst einen historischen Abriss über die USA zwischen früher Musterdemokratie und «gewalttätiger» oder «gefährlicher Nation» (so der konservative Historiker Robert Kagan). Schon die so genannten Gründerväter entwickelten eine moderne Verfassung und waren gleichzeitig ganz selbstverständlich Sklavenbesitzer, auch in heftige Fraktions- und Interessenskämpfe verwickelt. Nach dem Genozid an der indigenen Bevölkerung durchzog der Rassismus die ganze US-Geschichte, während zugleich vorbildhafte Mechanismen der institutionellen Politik von checks and balances entwickelt wurden. Rechtsextreme Politiker und Bewegungen florierten in den dreissiger, in den sechziger, in den achtziger Jahren. Eine Denkschule beurteilt das zyklisch, als historische Ausschläge, wobei das Pendel jeweils schon wieder in eine liberalere Richtung zurückschwinge. Löpfe ist sich da bezüglich Trump nicht so sicher, weil er gegenwärtig eine besonders explosive Gemengelage vorhanden sieht. Er nannte die Bedingungen für dessen Aufstieg: Niedergang des US-Mittelstands; Entstehung einer dekadenten Oligarchie; Kulturkrieg, Medien und Kultur der Lüge. Als Konsequenz fiel dann gar das F-Wort, da Trump gegen alle Institutionen antrete und man ihm durchaus einen Staatsstreich auf Raten zutrauen könne.

Besonders handgreiflich waren zum Auftakt die Zahlen zum sozioökonomischen Zustand des Landes: 70 Prozent der Lohnabhängigen müssen vierzehntäglich von paycheck zu paycheck kalkulieren; 40 Prozent geraten bei unerwarteten Ausgaben ab 400 Dollar in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten. Dazu kommt die scharfe existenzielle Trennung bezüglich des Gesundheitswesens, wo die eine Hälfte der Bevölkerung von Betriebskrankenkassen bei grösseren Unternehmen profitiert, die während des 2. Weltkriegs im Wettlauf um die rarer gewordenen Arbeitskräfte eingeführt wurden, während die andere Hälfte erst mit Obamacare überhaupt eine rudimentäre Krankenversicherung erhalten hat.

Nicht einmal mehr die Meritokratie funktioniert. Eine dekadente Oligarchie inszeniert sich schamlos, was sich geradezu mit römischen Zuständen vergleichen lasse, wie sie kürzlich Mary Beard wissenschaftlich oder Robert Harris in seinen historischen Romanen geschildert haben. Dazu zählte Löpfe auch Silicon Valley mit seiner merkwürdigen Mischung von Gier und Kontrollwahn einerseits, Philanthropie und Weltverbesserungsträumen andererseits.

Die soziale Kluft wird überlagert, verstärkt und zugleich verschoben durch einen Kulturkampf, der die «kreative Klasse» gegen die Abgehängten, die Zurückgebliebenen der so genannten flyover states aufmarschieren lässt. Diese «deplorables» (Hillary Clinton) sind gegenwärtig besonders von der Opiat-Krise getroffen; diese von skrupellosen Unternehmen geschaffene Epidemie äussert sich im Rahmen einer von den Rechten geschürten, und von Liberalen teilweise mit verschuldeten Kultur der Empörung und des Ressentiments als Hass auf die Liberalen.

Die rechten Medien und Trump selber haben jedes Konzept der Wahrhaftigkeit, ja der Wahrheit aufgegeben, nach dem Motto: Nichts ist wahr, und alles ist möglich. Löpfe schilderte Trumps Politik mit prägnanten Formulierungen: Als Schöpfer einer Bewegung der Empörung sei er geradezu gefangen in der Übersteigerung, müsse er seiner Anhängerschaft im medialen Zirkus immer wieder rohes Fleisch vorwerfen. Als Abbild und zugleich Verstärkung können auch die Dystopien in Hollywood und anderen Traumfabriken gelten. Beispielhaft zeigt sich das etwa im Übergang von der früheren TV-Serie «West Wing» über einen liberalen US-Präsidenten, in der letztlich noch Vertrauen auf die Politik und auf das Präsidialamt herrschen, zum zynischen «House of cards» mit ewigen Machinationen und inhaltsleeren Machtkämpfen, bis hin zu «Games of Thrones», in dem der blanke Überlebenskampf zelebriert wird.

Montage von Donald Trump in ein Standbild aus einem Film über George Orwells Dystopie «1984».

Zum Schluss äusserte Löpfe doch noch ein wenig Hoffnung auf die Stärke der Institutionen und neue soziale Bewegungen. Die anschliessenden lebhaften Nachfragen schwankten in diesem Spannungsfeld. Ob die checks and balances noch funktionieren, ob die Verfassung standhalten könne. Welche Bedeutung dem patriotischen Slogan von America first zukomme, und wie die Chancen der jüngeren grassroots-Bewegung einzuschätzen seien. Als mögliche Hoffnungsträgerin, die auch WechselwählerInnen ansprechen könne, nannte Löpfe die 58-jährige Senatorin Amy Klobuchar aus Minnesota.

Die Frage eines Impeachments wurde nur kurz als taktische Frage gestreift, wobei sich Löpfe kürzlich entschieden dafür ausgesprochen hat (siehe https://www.watson.ch/!784386589). Offen blieb auch die Frage, ob denn Aufklärungsarbeit noch möglich und nötig sei, zwar nicht gerade beim harten Kern der Trump-AnhängerInnen, aber doch im weiteren Radius seiner WählerInnen, die womöglich durch die nicht erfüllten wirtschaftlichen Versprechungen etwa bezüglich des Bergbaus desillusioniert würden. Wie der rechte Populismus wirkt und wie er womöglich bekämpft werden kann: Diese Themen werden im bücherraum f am 17. Mai weitergeführt mit der Soziologin und Genderforscherin Franziska Schutzbach. Erlaubt sei an dieser Stelle ein Hinweis auf die TV-Serie «The Good Fight» (CBS) über die Mitglieder einer Anwaltspraxis in Chicago, die sich beruflich und persönlich damit herumschlagen, ob man Trump und dem rassistischen und sexistischen backlash mit den gleichen Mitteln der Manipulation, ja der Lüge begegnen soll und kann.

sh

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