Zur Kritik der Weiblichkeit

Bücherräumereien (VII): Eine gelegentliche Rubrik aus dem bücherraum f

Eine Biene, die Honig aus einer Blüte saugt: So symbolisiert ein Exlibris, das die anonyme Künstlerin LRz für Anni Breuer geschaffen hat, offensichtlich das Lesen. Eingeklebt hat Anni Breuer ihr Buchzeichen in den Band «Zur Kritik der Weiblichkeit» der österreichischen Frauenrechtlerin Rosa Mayreder, der sich im bücherraum f findet.

Dazu liesse sich nun folgende Hypothese entwickeln. Mayreders Buch erschien erstmals 1905. Kaum zehn Jahre zuvor waren die Bahn brechenden Studien über Hysterie von Josef Breuer und Sigmund Freud erschienen. Die Wienerin Mayreder kannte den Wiener Psychiater Breuer sicherlich; tatsächlich gibt es Anknüpfungspunkte via den Komponisten Hugo Wolf, den Mayreder mäzenatisch unterstützte und der unter anderem die Kinder von Josef Breuer unterrichtete. So hätte denn ihr Buch Eingang in den Breuerschen Haushalt gefunden, wo es mit einem Exlibris versehen worden wäre. Doch leider hiessen weder Breuers Frau noch eine der drei Töchter Anni; zudem handelt es sich nicht um die Erstausgabe, sondern um ein Exemplar des sechsten bis achten Tausend aus dem Jahr 1922, und fernerhin ist auch nicht klar, ob diese Anni Breuer überhaupt in Wien lebte.

Jedenfalls, das Buch selbst und seine Autorin sind höchst lohnend. Rosa Mayreder (1858 – 1938), Tochter eines wohlhabenden Wiener Gastwirts, betätigte sich schon früh künstlerisch, kämpfte gegen die Diskriminierung der Frauen in der Bildung und war 1893 eine der Initiatorinnen des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins, Später gründete sie eine Kunstschule für Frauen und Mädchen, engagierte sich während des 1. Weltkriegs zusammen mit Bertha von Suttner in der Friedensarbeit und wurde 1919 Vorsitzende der «Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit» (IFFF), deren hundertstem Jahrestag ihrer Versammlung im Mai 1919 im Zürcher Glockenhof gerade dieser Tage gedacht wird.

«Zur Kritik der Weiblichkeit» fasste bereits 1905 mehrere ihrer Vorträge und Schriften zusammen und tönt zuweilen wie von heute in den LGBTQIA+-Debatten. «Welche biologische Notwendigkeit bestünde denn auch für eine essentielle Trennung der Geschlechter?», fragt Mayreder und antwortet, indem sie sich, zeitgemäss, auf die damaligen naturwissenschaftlichen Ansätze bezieht: Keine. «Daher können die Unterschiede, die das Geschlecht mit sich bringt, nur relative, keine absoluten sein und in die Konstitution nicht tief genug eingreifen, um die Einheit des Gattungscharakters aufzuheben.» Am Ende des Bandes tritt einem entsprechend «das Ideal einer Menschlichkeit entgegen, in der dem Geschlecht eine schönere und glücklichere Bedeutung eingeräumt ist, als es bisher besessen hat», nämlich eine «Lebensform, in der die Möglichkeit liegt, die Bande des Geschlechtes ohne Verneinung zu überwinden».

Zwischen diesem Anfang und dem Ende gibt es die Kritik: Mayreder nimmt sich scharfzüngig männliche (und weibliche) Meinungen zur «Frauenfrage» vor, bösartige etwa von Cesare Lombroso oder von Nietzsche und differenziertere, etwa von Henry Havelock Ellis. Und es gibt die Pragmatik: Mayreder wendet sich als (linke) Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung gelegentlich gegen die sozialistische Frauenbewegung und deren generalisierende, vor allem ökonomische Forderungen, weil man allen Frauen individuelle, eigenständige Entscheidungen zugestehen müsse. Immer wieder zeigt sich ein erfrischend nüchterner, konkreter Blick, etwa wenn sie herkömmliche Männlichkeitsbilder historisiert. «Es ist für die asiatischen Männer ein ehrendes Zeugnis, dass sie innerhalb ihres originären Kulturkreises die Erfindung des Pulvers hauptsächlich ästhetischen Zwecken dienstbar machten und seine tödlichen Eigenschaften in Feuerwerkskünsten spielerisch zu verpuffen liebten. Waren die europäischen Männer um soviel kriegerischer, um soviel todesmutiger, als sie die furchtbarste Mordwaffe daraus schufen? Oder waren sie nur von allen guten Instinkten der primitiven Männlichkeit schon zu sehr verlassen?» Da werden die Kriterien von Kultur und essenzialistischen Zuschreibungen ironisch neu angeordnet: höchst modern.

Rosa Mayreders «Zur Kritik der Weiblichkeit» findet sich in der Bibliothek schema f im bücherraum f unter dem Sigel L 54a. Letztmals ausgeliehen worden ist das Buch am 3. Februar 1991; Zeit also für eine Neubesichtigung.

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