Gut gewandert

Welch eine sinnige Veranstaltung zum 1. August. Carolyn Kerchof wird nach sieben Jahren in der Schweiz im Januar in die heimatlichen USA zurückkehren; und als Vorschein des Abschieds hat sie ein Magazin kreiert, «Bad Hiking», und als erste Nummer autobiografische Aufzeichnungen verfasst, die sich als Rückblick auf die Schweiz anbieten und die Carolyn am schweizerischen Nationalfeiertag FreundInnen und Bekannten im bücherraum f präsentierte. Eine Vernissage verband sich mit einer Feier und einem vorgezogenen Abschied im gut gefüllten bücherraum f zu einer aparten Mischung; zudem war es die erste englischsprachige Veranstaltung bei uns.

Jonathan Pärli stellte einleitend ein paar Bezüge zu Kulturaustäuschen und Grenzüberschreitungen her, berichtete von einer 1.-August-Feier von MigrantInnen und HelferInnen jenseits der Tessiner Grenze, und wies kühn darauf hin, dass auch Oerlikon vom Zürcher Stadtzentrum aus zuweilen als grenzwertig betrachtet werde.

Carolyn Kerchof kam nach einem halben Jahr in Deutschland im September 2012 studienhalber in die Schweiz, und die Berge spielten vorerst keine besondere Rolle. «The Alps never really occurred to me when I thought about moving here. In theory I knew they were there, but in practice, I didn’t see how they could have anything to do with me.» So lässt sich ihr Unterfangen, das Wandern, das Bergwandern als Hobby zu entdecken und zu erlernen, geradezu als ein bewusstes Erziehungsprojekt verstehen, und der Bericht darüber als eine Entwicklungsnovelle, in neun Kapiteln oder Stationen, denn Wandern ist ja, mit einem Augenzwinkern gesagt, zugleich eine Lebensschule.

Es gibt Aspekte, die fürs Wandern allgemein gelten: gute Organisation zum Beispiel, oder angemessenes Essen – wobei Carolyn das ganz persönlich besonders wichtig ist: «Just thinking about hiking makes me ravenous. In general, my appetite impresses me, but my cravings peak when I’m in the mountains, and few things fill me with dread like the prospect of running out of food.» Was sie mit einigen Beispielen illustriert.

Dann gibt es Aspekte, die in der Schweiz eine besondere Bedeutung bekommen. «Gear» beispielsweise, also die Ausrüstung. Die ist in der Schweiz geradezu fetischistisch besetzt. Carolyn besucht zu Beginn ihres Wegs Transa an der Europaallee, «evidence of the burgeoining amateur hiking lifestyle», wo sich alles und noch mehr finden lässt, was sich je mit Wandern verbinden liesse, in der Schweizer Hochpreisinsel: «it is outdoors haute couture» – was eine besondere Pointe bekommt, weil Transa mal als Genossenschaft startete, die den kapitalistischen Hochtourismus unterlaufen wollte.

Als besonders typisch greift Carolyn auch den Bergführer auf. Patricia Purtschert hat beschrieben, wie der Anfang des 20. Jahrhunderts in der Literatur zum prototypischen Schweizer Mann erklärt worden sei, «einfach, ehrlich, mutig und loyal» – wobei Carolyn bei einem Besuch in der Kletterhütte Bockmättli eben einen solchen Naturburschen zu treffen scheint, der zwölf Stunden lang treuherzig kein Wort sagt.

Besonders schweizerisch ist für Carolyn zudem die Infrastruktur: die Wanderwege und deren Beschriftung. Letztere basiert auf dem Werk von Adrian Frutiger (1928 – 2015), dem weltweit anerkannten Schweizer Typographen. Seine Frutiger, eine serifenlose Linear-Antiqua, markiert viele öffentliche Gebäude und Stätten. 2003 kaufte das Bundesamt für Strassen (Astra) zwei Spezialversionen, Astra-Frutiger Standard und Astra Frutiger-Autobahn. Damit wurden einerseits das Wanderwegnetz, andererseits das Autobahnnetz gekennzeichnet, die beiden Pole der Schweizer Perfektion.

«Bad Hiking» ist eine hübsche Mischung von (Selbst)Beobachtungen und Reflexionen, mit etlicher Selbstironie. Durchs Wandern ist in Carolyn auch eine Liebe zur Schweiz entstanden, die eine Liebe zu Menschen in der Schweiz ist.

Carolyn Kerchof: «Bad Hiking. A memoir». Zürich 2019. 24 Seiten. Schutzgebühr 5 Franken.

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