Kein Müssiggang, nirgends

Ein Plädoyer für die Arbeit

Die Arbeit, sagt Karl Marx, der hier natürlich gleich zu Beginn nicht fehlen darf, «ist ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln». Das Wort von der Notwendigkeit mag dem libertären Geist als Zwang erscheinen, und der Stoffwechsel könnte instrumentalistisch tönen. Aber der Satz konstatiert doch nur eine Selbstverständlichkeit, und er eröffnet leuchtende Möglichkeiten. Arbeit gehört zum Glutkern der Menschen.

Ach, wie schön sind diese Montage, an denen die Arbeit wieder beginnt, nach dem Sunday, bloody Sunday, den Gott in einer Schwäche zugelassen hat. Wie öde sind diese Mussestunden, grau, trüb, verhangen, schlaff, leer, leer, leer. Jetzt aber beginnt das wahre Leben, es recken sich Körper und Geist.

Ja, Lohnarbeit ist kapitalistische Ausbeutung, und die freie Arbeit der frei schwebenden Intelligenz ist Selbstausbeutung, und darob könnte man anarchisch zum Slacker werden, aber das hiesse, das göttlich Kind grausam und undialektisch mit der teuflischen Brühe auszuschütten.

Denn selbst in der Tauschwertarbeit steckt die Arbeit als gebrauchswertschaffender Nutzen, und mehr noch: die Selbsttätigkeit. Ach, diese Wonnen (diese Qualen). Es straffen sich die Muskelfasern, die Nervenenden zittern, und die Gehirnsynapsen klicken. Die Verlockung, sich etwas hinzugeben. Die Anspannung, hartnäckig der Sache auf der Spur, mit allen Sinnen. Die zitternde Erwartung, wo die arbeitsame Suche hinführen mag. Der Fieberschub, in dem man gerät; und das Glücksgefühl, wenn etwas gelingt, ein Stuhlbein oder ein Artikel, ozeanisch, orgiastisch (wer sagt, Arbeit sei nicht erotisch?). Nur schon der Versuch spannt die ganze Existenz, auch wenn er nicht gelingt, denn das gehört ebenfalls zum tätigen Leben: So irren wir das nächste Mal besser.

Und wenn dann die KapitalistInnen in den Orkus der Geschichte gestossen sind und alles gut ist, fischen wir am Morgen und kritisieren am Abend ein neues Buch, es braucht keinen Müssiggang, nirgends, der Glutkern wäre befreit, für alle; doch seinen Vorschein können wir heute schon hegen.

Stefan Howald

Dieser Artikel erschien als kontradiktorische Einleitung zum Dossier der WOZ – Die Wochenzeitung zum 1. Mai 2016 am 28. April 2016; siehe www.woz.ch.

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