Nachtrag zu Robert Menasse

Linksbüchneriade 14

2012 hat der österreichische Schriftsteller und Publizist Robert Menasse ein schlaues Buch geschrieben. Darin rechnet er mit all den xenophoben Kritikern der Europäischen Union ab und zeigt, dass eine erneuerte Demokratie in Europa die EU nicht ausschliessen kann, sondern in dieser angelegte Chancen ausnützen muss. Angesichts der Erfolge der EU-Skeptiker und -Hasser bei den letzten EU-Wahlen im Mai 2014 ist dieses Plädoyer noch dringlicher geworden; von der Schweizer Situation zu schweigen.

Menasses Buch trägt den Titel «Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas». Es ist, wie gesagt, ein schlaues und in vielem erhellendes Buch. Aber warum nur trägt es diesen Titel? Die Titelseitengestaltung macht unmissverständlich klar, welcher Bezug hier hergestellt werden soll: «Der» und «Landbote» sind gleich gross gedruckt, während dazwischen das «europäische» etwas kleiner steht, dort, wo einst das «hessische» stand.

Menasse

Nun sei grosszügig darüber hinweg gesehen, dass eine solche Bezugnahme auf Georg Büchners frühes Meisterstück einer polemischen Flugschrift eine gewisse Anmassung verrät, denn Klappern gehört ja zum Handwerk. Aber wofür wird hier geklappert, das heisst welcher Art ist denn dieser versuchte Bezug?

«Der hessische Landbote» war 1833 eine Anklage gegen die Herrschenden und forderte die revolutionäre Umgestaltung der Güterverteilung (von Produktionsverhältnissen konnte noch nicht die Rede sein). «Der europäische Landbote» ist eine Anklage gegen die EU-Verächter und fordert eine demokratische Aneignung und Verbesserung staatlicher Instanzen. Nichts dagegen (sogar etliches dafür), aber in Menasses Argumentation ergibt sich eine schillernde Umkehr der Blickrichtung. Das zeigt sich, vorerst harmlos, an einem Detail. Büchner verwendete Statistiken, um die Verschwendung des despotischen Hofstaats zu entlarven. Menasse belegt mit Statistiken, dass die Brüsseler Bürokratie nicht die grosse Verschwenderin ist, als die sie karikiert wird. Bedeutsamer ist Menasses Blick auf die bewegten Menschen. Einerseits räumt er ein, dass die EU ein Elitenprojekt gewesen sei und fordert dazu auf, sie zum Volksprojekt zu machen. Andererseits betrachtet er die Volksmassen selbst eher von oben herab und vorwiegend mit Misstrauen. Das zeigt sich an seiner Verwendung des Begriffs «Wutbürger». Mit dem wirft er vieles, was sich bewegt, in den gleichen Topf: Bürgerinitiativen, Shitstormfabrikanten und Fremdenfeinde. Nun leben wir zweifellos in anderen Zeiten als Büchner, als denen da unten schon der Geruch von Essen den Hunger dämpfen sollte und jede direkte Revolte berechtigt war. Aber es scheint doch, dass sich Menasse Reformen nur im engen Korsett überlieferter Politformen vorstellen kann.

Das wäre dann nicht mehr so schlau.

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