Der Mörder ist niemals die Gärtnerin

Else Laudan, Herausgeberin der Ariadne-Krimis, im bücherraum f

Die Krimis, die sie gelesen hat, gehen wohl in die Tausende. Und doch verleidet ihr das Genre nie. Am liebsten sind Else Laudan noch immer hard-boiled-Detektivromane in der Tradition von Dashiell Hammett und Raymond Chandler. Als Verlegerin aber kümmert sie sich vor allem um neue politisch engagierte Krimis von Frauen. Ja, die hält sie sogar für die gegenwärtig avancierteste Literaturform.

Seit über dreissig Jahren betreut Else Laudan die Ariadne-Krimis im Hamburger Argument-Verlag. Im bücherraum f berichtete sie am 7. November begeistert und begeisternd über Geschichte und Gegenwart des Krimis im allgemeinen und von Ariadne im besonderen.

Ariadne war mal ein durchschlagender Erfolg. 1987 lancierte die feministische Marxistin Frigga Haug, Mitverlegerin des «Argument», mit einem an Antonio Gramsci gewonnenen Anspruch eine Krimireihe, um Populärliteratur zu den linken Massen zu bringen, vor allem zu den linken Frauen. Nach den betulichen Ermittlerinnen wie Miss Marple von Agathe Christie hatte P. D. James mit «An Unsuitable Job for a Woman» («Ein reizender Job für eine Frau») 1972 erstmals eine Privatdetektivin vorgelegt, die sich mit Rollenbildern auseinandersetzte. Jetzt wurde das alles expliziter und härter. Die zumeist aus dem Angelsächsischen übersetzten Krimis boten neue Themen, etwa Gewalt gegen Frauen, und neue Figuren. Ariadne-Krimis hatten eine unverkennbare Gestalt, mit einem tiefschwarzen Umschlag und einer gelb-schwarzen Vignette vorne drauf. Marion Fosters «Wenn die grauen Falter fliegen», Barbara Wilsons «Ein Nachmittag mit Gaudi» und Sara Schulmans «Ohne Delores». Sarah Drehers Stoner McTavish und Katherine V. Forrests Kate Delafield. Selbstbewusste Frauen, lesbisch oder straight, Verbrechen nicht mehr als Einzelfälle, sondern als Ausdruck patriarchaler Strukturen. In dieser politisierten, feministischen Spannungsliteratur wurde mit Kopf, Charme und Kanone gekämpft. Das Leseinteresse explodierte. Die Krimis waren bald in allen WGs zu finden. Die Erstauflagen stiegen auf 15000 Exemplare, einzelne Titel erreichten Auflagen bis zu 200000 Exemplare. Im Argument-Verlag erschien eine eigene Zeitschrift, das «Ariadne-Forum», es gab Workshops und Leseclubs, in denen das Lesen und Schreiben feministischer Krimis diskutiert und erprobt wurde.

Wenn der Boom einbricht

Bereits 1988 war Else Laudan beim Programm eingestiegen, und sie ist, rund 300 Titel später, immer noch dabei. Ihre persönliche Entwicklung schilderte sie selbst als eine durchaus eigenwillige. Als Tochter von Frigga Haug und Stieftochter des marxistischen Philosophen Wolfgang Fritz Haug wuchs sie in einem hoch intellektuellen Elternhaus auf. Bücher waren ihr selbstverständlicher Lebensstoff, doch rebellierte sie gegen das akademische Milieu. Sie begann eine Lehre als Maschinenschlosserin, aber kurz vor der Abschlussprüfung wurde ihr das Mobbing im klassischen Männerberuf zu viel. Ein Soziologiestudium erwies sich auch nicht als die wahre Berufung. 1988 stieg sie in den Verlag ihrer Eltern ein. Seither ist sie Herz und Seele von Ariadne, mittlerweile auch Verlagsleiterin des ganzen Argument-Verlags.

    

Der Anfangsboom dauerte ein knappes Jahrzehnt, dann, ab Mitte der neunziger Jahre, brach er zusammen. Einerseits stiegen grosse Verlage in den Markt der «Frauenkrimis» ein, überschwemmten den Markt mit Dutzendware und warben Projekten wie Ariadne erfolgreiche Autorinnen ab. Zugleich zerbröckelte die Struktur der autonomen Frauenbewegung mit Buchhandlungen, Cafés und Kulturzentren. Ariadne und Argument mussten ihr Programm und die begleitenden Aktivitäten Ende der neunziger Jahre massiv zurückfahren.

Neben diesen gewichtigen äusseren gab es laut Laudan aber auch einen quasi internen Grund: Die Qualität der veröffentlichten Texte hatte abgenommen. Das erste Reservoir an hervorragenden feministischen Krimis war ausgeschöpft, also hatte auch Ariadne auf Dutzendware zurückgegriffen. Doch Frausein, so zeigten die Reaktionen der Leserinnen, genügte als alleiniges Kriterium weder für Autorinnen noch für Heldinnen. Die Abstriche bei der Qualität zahlten sich auch kommerziell nicht aus.

Das Publikum im bücherraum f bestätigte die Erfahrung, der Laudan häufiger begegnet: Viele Frauen hatten Ariadne-Krimis in den Anfängen begeistert verschlungen, aber mit dem Abflauen des Booms Mitte der neunziger Jahre das Interesse daran und entsprechend Ariadne aus den Augen verloren; ja, es war für manche im Vorfeld der Veranstaltung durchaus überraschend, dass Ariadne überhaupt weiterhin existiert. Dabei gibt es seit mindestens zehn Jahren eine neue Generation von Ariadne-Autorinnen: Christine Lehmann, Monika Geier, Merle Kröger, Dagmar Scharsich. Nicht zufällig sind es deutsche Autorinnen. Sie knüpfen teilweise an die in der Zwischenzeit inflationär gewordenen Lokalkrimis an und verbinden das mit Welthaltigkeit. Monika Geier mit ihrer allein erziehenden Kriminalkommissarin Bettina Boll aus Ludwigshafen, die ungemein produktive Christine Lehmann mit ihrer bisexuellen rasenden Reporterin Lisa Nerz in Stuttgart, Merle Kröger mit präzis recherchierten Berichten aus den «blühenden Landschaften» der neuen deutschen Bundesländer. Auch die Österreicherin Anne Goldmann zählt dazu mit Milieustudien aus dem oberen und unteren Mittelstand.

Ein neuer Aufschwung

Den neuen Aufschwung von Ariadne setzt Else Laudan freilich mit der französischen Autorin Dominique Manotti (Marie-Noëlle Thibault) an. Die ehemalige Gewerkschaftsfunktionärin schreibt seit 1995 harte Politgeschichten aus Wirtschaft und Hochfinanz; mit den Romanen «Letzte Schicht» (2010) und «Einschlägig bekannt» (2011) machte sie Ariadne im deutschsprachigen Raum bekannt. Laudan verknüpft das gestiegene Interesse an solchen aufklärerischen Krimis durchaus mit der Finanzkrise von 2008, die ein neues Bedürfnis nach Über- und Durchsicht zeitigte.

In dem von Brigitta Klaas Meilier munter vorangetriebenen Gespräch im bücherraum f wies Else Laudan auf eine Lehre aus der einstigen Krise von Ariadne hin: Man darf als Verlegerin nur produzieren, was man selbst schätzt. Kompromisse bringen nichts, Mainstreambücher können die Grossverlage besser machen. Dabei trennte sich Ariadne auch von anderen früheren Vorgaben. Ein paar Jahre lang hatte man sich etwas auf eine Quotenregelung zwischen lesbischen und straighten Krimis zugutegehalten, jeweils mit einer ungeraden oder geraden Nummer gekennzeichnet. Doch das stiess zunehmend auf Schwierigkeiten. Amüsant schilderte Laudan, wie man die Quote notdürftig aufrecht zu erhalten suchte, etwa indem man jenen Romanen von Dominique Manotti, in denen ein schwuler Kriminalkommissar auftaucht, eine ungerade Nummer verlieh. Jetzt ist die Vorgabe angesichts der Dürre an lesbischen Krimis über Bord geworfen worden.

Dabei will Laudan unterschiedliche Geschmäcker gar nicht leugnen. Slasher-Krimis mit Massenmördern oder Ermittlungen in hochherrschaftlichen englischen Landhäusern mögen bestimmte eskapistische Funktionen erfüllen – das soll, mit Gramsci, nicht ignoriert werden. Der Begriff Frauenkrimi allerdings engt mittlerweile wieder in ein konservatives Korsett ein. Für sich selbst und für Ariadne vertritt sie deshalb entschieden das Konzept des von Frauen geschriebenen modernen politischen Krimis. In denen ist das Verbrechen nicht ein blosser Einzelfall, dessen Lösung die Gesellschaft wieder ins Lot rückt, sondern der Normalfall einer korrumpierenden Gesellschaftsform. Dabei bürdet Laudan den politischen Krimis grosse Erwartungen und Ansprüche auf: Diese stellten die gegenwärtig avancierteste Literaturform dar, gesellschaftskritischer als die herkömmliche Belletristik. Man muss diese Einschätzung nicht teilen, aber unbestreitbar sind einige der jüngsten Krimis beeindruckend. Die recherchierte Reportage, die in der Publizistik unter Verdacht geraten ist, gewinnt in der fiktionalisierten Form neue Glaubwürdigkeit. Das Handwerk bleibt nötig, um die Handlung voranzutreiben und die Spannung aufrecht zu erhalten; doch arbeiten diese Romane auch sprachlich auf hohem Niveau, sind ebenso süffig wie differenziert zu lesen.


Laudan ist nicht nur Herausgeberin und Verlagsleiterin, sondern hat in den letzten Jahren auch knapp zwei Dutzend Krimis übersetzt. Dazu plauderte sie ein wenig aus der Werkstatt. Für eine Übersetzung schafft sie sich alle Termine vom Hals, setzt sich wenn möglich auf eine isolierte Insel ab, schuftet dann konzentriert, sechs Wochen, sechzehn Stunden am Tag, wobei ihr KollegInnen ein wenig zuarbeiten.

Natürlich, Argument steht mit dem Aufschwung der politischen Krimis nicht allein. Es gab, nach dem ersten Boom, die Pionierleistung des Unionsverlags, der mit der «metro»-Serie Krimis aus allen Weltgegenden erschloss. In Frankreich bahnte Fred Vargas (Frédérique Audoin-Rouzeau) den Weg, die, ursprünglich Archäologin, ihre alltagspolitischen Fälle mit allerlei skurrilen Figuren unterfüttert. Selbst Suhrkamp hat mittlerweile eine Krimireihe, aus der die ganz eigenwillige Simone Buchholz hervorsticht.

Else Laudan betonte im Übrigen, dass sich die Berichterstattung in den Feuilletons verbessert hat. Krimis gehören nicht mehr in die Schmuddelecke; die wichtigsten KritikerInnen vergeben jedes Jahr die deutschen Krimipreise, auf deren Listen Ariadne-Titel regelmässig figurieren. Nach wie vor allerdings sind diese hochstehenden politischen Krimis ein Minderheitenprogramm. Ariadne-Bücher werden mit einer Erstauflage von 3000 Exemplaren gestartet, Romane von Dominique Manotti, die hartnäckig dem internationalen Wirtschaftsverbrechen auf der Spur bleibt, mögen in mehreren Auflagen auf 10’000 Exemplare ansteigen.

Vernetzungen

Einen kurzen Seitenblick warf Laudan auch auf das wissenschaftliche Programm des Argument-Verlags. Während die Zeitschrift «Das Argument» und das unvergleichliche «Historisch-Kritische Lexikon des Marxismus» durch Abonnements und Subskriptionen einigermassen getragen werden, sind andere linke, akademische Werke nur noch in Kleinstauflagen durch Abnahmegarantien der AutorInnen und durch Kooperationen möglich.

Umso wichtiger ist für einen Kleinverlag die Vernetzung. Laudan hat die Liste unabhängiger Verlage in Hamburg mit begründet; und sie hat auch initiiert, dass sich die deutschen Krimiautorinnen in einem losen Verbund zusammengeschlossen haben, unter dem Namen «Herland», nach einer utopischen Trilogie von Charlotte Perkins Gilman (1860-1935), in der drei Knaben sich in einer reinen Frauengesellschaft integrieren müssen. Herland versammelt laut eigener Website «Frauen, die an unterschiedlichen Orten der kriminalliterarischen Buchproduktion wirken. Wir verstehen uns als politisch, feministisch, gottlos, aufbrechend, gegen rechts, antikapitalistisch, antipatriarchal und erfolgreich.»

Einer der neueren Titel bei Ariadne stammt von Sara Paretsky. Laudan bezeichnet die 1947 geborene US-Amerikanerin nur halbwegs scherzhaft als «unser aller Mutter». Deren toughe Ermittlerin V.I. Warshawski bringt seit 1982 allerlei Bösewichter zur Strecke. Lange Jahre wurde sie auf Deutsch bei Piper veröffentlicht, dann bei Goldmann und Dumont. 2010 brachen die deutschsprachigen Veröffentlichungen ab. Dabei publizierte Paretsky in den USA durchaus weitere Krimis, wie Else Laudan vor zwei Jahren einigermassen überrascht feststellte. Nachdem sie direkt bei Paretsky ein Interesse bekundet hatte, erhielt sie via Agentur und Originalverlag den Zuschlag, ohne dass sie, wie sonst bei Übersetzungen üblich, einen Vorschuss hätte zahlen müssen. «Kritische Masse» (2018) ist historisch weit gespannt. Darin setzt sich V. I. Warshawski auf die Spur einer halb fiktiven österreichischen Atomphysikerin, die vermutlich von den Nazis ermordet wurde, deren Erkenntnisse später von US-Unternehmern angeeignet und kommerziell ausgewertet wurden. Dabei dokumentiert Paretsky ebenfalls die reale Übernahme einstiger Nazi-Wissenschaftler ins US-Atomprogramm. An Spannung fehlt es nicht, auch nicht an einer atemraubenden Auflösung.

Stefan Howald

Else Laudan im bücherraum f mit einem Krimi der Altmeisterin Doris Gercke

Dieser Beitrag wurde unter bücherraum f, Kulturkritik, Veranstaltungen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.