Weltreiselust

Ella Maillart, die kühnste Schweizerin

Einer der ersten Reiseberichte aus der jungen Sowjetunion. Durch China und Zentralasien, als das Reisen dort noch verboten war. In Indien bei einem Guru. Ella Maillart (1903–1997) hat viele Tabus gebrochen. Die Genferin segelte lieber, als zur Schule zu gehen, und vertrat die Schweiz an den Olympischen Spielen, gehörte später zum Nationalteam der Skifahrerinnen. Ganz Asien hat sie in mehrfachen längeren Aufenthalten erkundet, von der Reise mit und der Beziehung zu Annemarie Schwarzenbach gar nicht zu reden. Ihre zahlreichen Fotografien haben ebenso ethnologischen wie künstlerischen Wert. Es gibt also viel zu erzählen und zu zeigen.

Monika Saxer und Stefan Howald stellten Ella Maillart am 21. Februar im voll besetzten bücherraum f in Wort, Bild und Ton vor.

Mit einer Vierercrew wollte die 23-jährige Maillart den Atlantik überqueren. «Ich denke, dass die Männer in den Häfen damals vor Staunen fast vom Quai gefallen sind, wenn die vier jungen Frauen jeweils einliefen. Das wäre noch heute so – damals muss es einfach umwerfend gewesen sein», sagt dazu einer, der auch schon die Welt umsegelt hat. [ … ]

Man kann bei ihr von einer Ethik der Reise und des Entdeckens sprechen. Dazu gehörte, dass sie sich dem Alltag aussetzte. Das war nicht blosse Abenteuerlust, etwa mit einer Karawane mitzureisen, sondern sie wollte den einheimischen Lebensstil mitmachen. Auch später hat sie meist die einfachsten öffentlichen Verkehrsmittel benützt, die einheimischen Speisen gegessen, wenn immer angebracht auf einheimische Sitten und Gebräuche Rücksicht genommen. In einem Grundsatztext «Warum ich reise» von circa 1952 hat sie formuliert: «Oft denke ich, dass das Reisen in erster Linie in uns dies Gefühl der Solidarität, der Verbundenheit wecken sollte, ohne das eine bessere Welt nicht möglich ist.» [ … ]

Neben den zu ihrer Zeit sehr erfolgreichen Büchern über ihre Reisen hat sie auch ein bemerkenswertes Buch über ihren fünfjährigen Aufenthalt in Indien geschrieben, «Ti-Puss. Mit einer Katze in Indien». Ti-Puss, die sie als Kätzchen gerettet hat, wird in präzisen und detaillierten Schilderungen in aller Liebe beobachtet. Katzenliebhaberinnen und sogar Katzenfeinde müssen immer wieder bestätigen: Ja, so sind sie, die Katzen, und so sind wir, ihnen gegenüber. Daneben läuft der breitere realistische Strang: Der Alltag, die Reisen in den Eisenbahnen, in den Frauenabteilen dritter Klasse – dabei erscheinen die grossen indischen Eisenbahnzüge als Verdichtungspunkt einer in die Moderne gezerrten Klassen- und Massengesellschaft. Viel ist zudem von Meditation die Rede, wobei einige der Swamis und einige Praxen der indischen Religiosität durchaus mit etlicher Ironie gesehen werden.

Während ihrer Zeit in Indien begann Maillart auch ein Buch über die Reise mit Annemarie Schwarzenbach; und man wird in den lyrischen Beschreibungen ihrer Katze – vor allem gegen den Schluss hin zuweilen auch verstörend – die Beziehung zu Annemarie erahnen. Auf einer dritten Ebene aber ist die Beziehung zur Katze ein Sinnbild und ein Prüfstein für die Beziehung zu Menschen, zur Welt insgesamt. Soll man sich durch Liebe binden? Muss sich die Liebe nicht vom ursprünglichen Objekt der Liebe lösen und in die Liebe an sich übergehen? Muss diese Liebe und diese Loslösung schliesslich nicht in die Auflösung und ins Nichts münden? Maillart diskutiert diese vedantische Philosophie, und sie hat sie womöglich auch angestrebt, aber sie unterläuft sie zugleich wieder, da sie doch voller Liebe für ihre Katze, dieses ganz unverwechselbare individuelle Subjekt bleibt. [ … ]

Ende 1945 kehrte Ella Maillart aus familiären Gründen in die Schweiz zurück, nach Chandolin im Val dʼAnniviers. Hier fand sie ein Leben, das sie an das nomadische oder zumindest bergbäuerliche in Zentralasien erinnerte, und hier baute sie 1948 zusammen mit einheimischen Handwerkern ein Chalet, von dem aus sie jährliche Reisen nach Asien unternahm. [ … ]

Ein ausführlicher Artikel über Ella Maillart mit vielen Fotografien findet sich hier: Maillart_Vortrag_Website

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