Von Johannesburg bis Pennsylvania

Bücherräumereien (XXVII): Noch ein paar Ariadne-Krimis

Natürlich müssen es Schwarze gewesen sein. Wenn ein weisses Ehepaar in seinem Blut liegt, verstecken sich sicherlich irgendwo ein oder mehrere schwarze Mörder. Schliesslich sind wir in Johannesburg im Jahr 1953.

Nur, wenn der Ermittler Detective Sergeant Emmanuel Cooper heisst, ist der Fall vielleicht nicht ganz eindeutig schwarz-weiss. Aber das darf er seinem Vorgesetzten nicht so deutlich zu verstehen geben. Cooper ist selbst nicht ganz schwarz oder weiss, vielmehr «gemischtrassig». Er ist in der Township Sophiatown aufgewachsen, hat dann Karriere gemacht, misstrauisch beobachtet von den weissen Kollegen, vor denen er auch seine junge schwarze Freundin samt Kleinkind versteckt halten muss.

Malla Nunn beschreibt anschaulich die Herrschaftsverhältnisse und sozialen Zerklüftungen, die die Apartheidgesellschaft durchziehen. Die Parallelgesellschaften beginnen bei der segregierten Wohn- und Arbeitssituation. Darüber hinaus braucht es aber auch segregierte soziale Institutionen: Etwa eine «Eingeborenen-Ambulanz». Oder die «Eingeborenen-Polizei». In der Township herrschen ihrerseits soziale Hierarchien. Fix Mapela, den Emmanuel noch vor früher her kennt, balanciert auf dem Grat zwischen legitimen Geschäften und dubiosen Deals. Seine Schwester Fatty, eine «Abrissbirne in Stöckelschuhen», organisiert mehr oder weniger illegale Partys mit gemischtrassigem Publikum. Und dann gibt es die mafiaähnlichen Banden der tsotsis, die man sich vom Leibe halten muss.

Zuweilen wird die Rassenfrage von der Klassenfrage durchkreuzt. Briten und Afrikaaner versuchen, ihre jeweilige politische, wirtschaftliche und soziale Macht auszutarieren. Es gibt auch arme Weisse, etwa eine alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern auf einer heruntergekommenen Farm im Hinterland. Selbst da gilt allerdings: Die noch ärmeren Schwarzen bleiben von der weissen Landbesitzerin abhängig. Denn bei Grenzüberschreitungen zwischen den künstlich geschaffenen Gesellschaften sind die Machtverhältnisse eindeutig. Und ebenso eindeutig sind die Frauen die ersten Opfer. So geht es um rassistisch geprägte Entführungen von Mädchen; daneben und dahinter geht es auch um Landraub, um wiedergeborene Christen, mörderische Söhne und strafende Väter.

Zusammen mit Emmanuel machen sich ein jüdischer Arzt und ein Zulu-Polizist auf die Spur von Mord und Entführung. Das tönt schon beinahe wie das Casting einer liberalen Hollywood-Serie. Aber es ist mit Präzision und einiger Selbstironie gehandhabt. Nur beim Showdown stellen sich unsere Helden vorerst etwas ungeschickt an, und so kommt eine kindliche Steinschleuder zu einem unerwarteten und unerwartet erfolgreichen Einsatz.

Strassenkinder

Charlotte Otter ist Südafrikanerin, lebt in Deutschland und schreibt auf Englisch. Ihre Krimis spielen im Nach-Apartheid-Südafrika und handeln doch, leider, von ähnlichen kriminellen Verhältnissen, weiter bestehenden und neuen. Kriminalreporterin Maggie Cloete spürt dem gewaltsamen Tod von Balthasar Meiring nach, der sich in der Aids-Hilfe engagiert hat. Dabei kommen Altlasten zum Vorschein: Er ist der Sohn eines Afrikaaners, der einst einen Schwarzen erschossen hat. Seine Wohltätigkeit als Wiedergutmachung zu bezeichnen, würde ihm aber Unrecht tun. Jedenfalls, die Verheerungen durch Aids sind schrecklich, und davon profitieren ein weisser Quacksalber, der sich Unwissenheit und Leichtgläubigkeit zu nutze macht, ebenso wie ein schwarzer Unternehmer, der sich mit monopolmässig vertriebenen Särgen bereichert. Die unerschrockene Maggie ist umgeben von einem Redaktionsteam, das unter kommerziellem Druck des Verlegers steht und zugleich miteinander um die heisseste Titelgeschichte wetteifert. Die Krimihandlung weist Parallelen zu derjenigen bei Nunn auf: Verschleppte Mädchen, Vergewaltigungen als politische Waffe, wobei besonders die verheerenden Konsequenzen gezeigt werden, die der Mythos von der Jungfräulichkeit in einer jahrzehntelang von Gewalt geprägten Gesellschaft zeitigt.

Ebenfalls um Menschen- und Mädchenhandel geht es bei Anita Nair. Diesmal im südindischen Bangalore, das, wie sich dem Klappentext entnehmen lässt, das «Babylon Indiens» sein soll. Hier ist alles noch ein bisschen grösser und düsterer und erschreckender. Kinderentführungen sind zu einem lukrativen Geschäftszweig geworden. Dazu kommen Korruption in der Staatsverwaltung und Intrigen im Polizeiapparat. Auf der andern Seite stehen Hilfsorganisationen, die sich um Strassenkinder kümmern, und der eine oder andere aufrechte Polizeibeamte. Insgesamt ergibt das ein weitgespanntes Panorama, aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Geschrieben in einer funktionalen Sprache, die gelegentlich am Klischee vorbeischrammt. Thematisch spannend und aufschlussreich, als Sprachkunstwerk aber für die Ariadne-Krimis Substandard.

White trash

Kehren wir in die USA zurück, genauer nach Pennsylvania. In die ehemaligen Kohlegebiete. Dort, wo die Erde seit Jahren durch einen Schwelbrand ausgezehrt wird. Dort, wo die arbeitslosen blue-collar-worker Donald Trump zum Sieg verholfen haben. Die Polizeichefin Dove Carnahan muss sich in einer Kleinstadt bei der Aufklärung eines Mords gegen etliche Vorurteile durchsetzen. Und sie gerät in ein Milieu, das sich als white trash bezeichnen liesse. Abwesende Väter, abgestumpfte Mütter, verwahrloste Kinder. Schläger und AlkoholikerInnen, inzestuöse Beziehungen. Die sozialen Verheerungen sind aus einer nicht gerade zimperlichen Perspektive eindrücklich beschrieben, aber zuweilen will es scheinen, als ob die Autorin den white trash so aufgegeben hat, wie einst Hillary Clinton, als sie mit ihrer berüchtigten Bemerkung die Hälfte von Trumps Wählern als «erbärmlich» bezeichnete. Doch kurz vor der Aufklärung kippt die Geschichte: Die klaren Fronten verwischen sich. Und in einer weiteren Volte wird der psychische Hintergrund der Tat verständlicher, denn die Polizeichefin hat selbst, wie es so schön heisst, ein dunkles Geheimnis. Auf die kathartische Fortsetzung darf man gespannt sein.

Alle vier Krimis stellen sich dem Thema der individuellen und organisierten Gewalt gegen Mädchen und Frauen mit klarer Perspektive. Bemerkenswert ist dagegen die persönliche Sexualpolitik. Bei Nair hat der Detektiv, mit nur ganz leichten Gewissensbissen, in der einen Stadt eine Ehefrau und in der anderen eine Geliebte. Die junge Frau von Emmanuel Cooper «wandte sich ihm zu wie eine Blume, die die Sonne sucht», und durch einen Überfall, der für sie übel hätte enden können, wird ihre sexuelle Lust durchaus angestachelt. O`Dells Polizeichefin wird von ihrem Liebhaber «im Höhlenmenschenstil über die Schulter» geworfen und ins Bett verfrachtet, wo er, mit ihrem Einverständnis, wie «eine «Kriegsmaschine» ist: «Ich bin sein Schlachtfeld. Er betreibt gründliche Aufklärung, stösst vor, dringt ein, zieht sich zurück und hinterlässt mich in Trümmern.» Offensichtlich gehört das auch zur breiteren Ausrichtung dieser Politkrimis.


Alle vier Romane sind im bücherraum f an der Jungstrasse 9 in Zürich-Seebach vorhanden.

Malla Nunn: «Zeit der Finsternis». Aus dem Englischen von Laudan & Szelinksi. Ariadne 1217. Argument-Verlag, Hamburg 2016 (Originalausgabe 2014). 300 Seiten, Broschur.

Charlotte Otter: «Balthasars Vermächtnis». Aus dem Englischen von B. Szelinksi und Else Laudan. Ariadne Krimi 1214. Argument Verlag, Hamburg 2013. 316 Seiten, Broschur.

Anita Nair: «Gewaltkette». Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Ariadne 1226. Argument Verlag 2017 (Originalausgabe 2016). 350 Seiten, gebunden.

Tawni O´Dell: «Wenn Engel brennen». Aus dem Amerikanischen von Daisy Dunkel. Ariadne1239. Argument Verlag, Hamburg 2019 (Originalausgabe 2016). 350 Seiten, gebunden.

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