Diese Bibliothek hat ihre Schätze. Beginnen wir mit einem Schwerpunkt. Vieles ist vorhanden zu dem, was sich mangels eines besseren Begriffs unter das Dach der Frankfurter Schule geflüchtet hat, die üblichen Verdächtigen, Adorno, Benjamin, von den jüngeren Habermas und Axel Honneth, und ein Schwerpunkt im Schwerpunkt ist Max Horkheimer, der immer noch unterschätzt wird. Die neueren Gesamtausgaben sind nicht immer ganz vollständig, dafür finden sich verschiedene Ausgaben der «Dialektik der Aufklärung», was eine kulturgeschichtliche Studie erlauben würde. Dazu ein paar ungewöhnliche Dokumente. Etwa ein Raubdruck der frühesten Aufsätze von Jürgen Habermas. Schliesslich sind auch Randfiguren vertreten, zum Beispiel Alfred Sohn-Rethel – was sich nicht auf deren Qualität bezieht, sondern auf die Randständigkeit im Verhältnis zur Schule, die ja gerade keine war.
Im Gestell nebenan findet sich, natürlich, Karl Marx, vollständig die klassischen Marx-Engels-Werke MEW in 44 Bänden, die aus vielen Arbeitszimmern in Antiquariate gewandert sind. Verständlicherweise gibt es nur wenige Bände der neuen sauteuren MEGA, dafür drei Bände der Moskauer Ausgabe aus den 1930er-Jahre. Aus etwas späterer Zeit, chronologisch wie bewegungsgeschichtlich, stammen Erstausgaben von Franz Mehring oder Rosa Luxemburg.
Die Politisch-Philosophische Bibliothek im bücherraum f verfügt aber auch über politische Belletristik. Etwa über die Gesammelten Werke von Jakob Bührer, Einzelnes auch in Erstausgaben. Der ist vergessen oder wird unterschätzt. Mit «Aus dem Tagebuch des Konrad Sulzer» hatte er schon früh einen politischen, zugleich witzigen Entwicklungsroman vorgelegt, dann früh antifaschistisch Stellung bezogen. Sein drei- bzw. vierbändiger Roman «Im Roten Feld» war ein grosses Unterfangen, die Schweiz im Aufbruch zur Moderne, bis hin zur Helvetik zu schildern. Apropos Helvetik: Die wird zu einem kleinen Kompetenzzentrum ausgebaut. Daneben stehen dann andere Funde zur Schweizer Geschichte, etwa Broschüren des rabiaten Rechtskatholizismus gegen die ungläubigen freisinnigen Umstürzler. Oder die vollständigen Dokumente der Parteitage von SPS und Grütliverein aus den Jahren 1904 bis 1915.
Mittlerweile umfasst die Bibliothek 9400 Titel. Erschlossen sind sie in einem Katalog, der sich an dieser Stelle einsehen lässt.
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Eine Schweizer Tradition wird auch beim religiösen Sozialismus dokumentiert, mit den grossen Bibelinterpretationen von Leonhard Ragaz und vielen kleineren Schriften von ihm und seinem Kreis. Auf der andern Seite des Doppelgestells finden sich eineinhalb Regale zum Anarchismus: Bakunin, Erich Mühsam, Rudolf Rocker, der nicht mehr so bekannte, aber wichtige Anton Pannekoek. Was uns wieder zurück zur Schweiz führt: Auch Fritz Brupbacher ist gut vertreten, zuerst die politischen Schriften, aber auch die kulturpsychologischen, etwa «Seelenhygiene für Heiden», und gleich daneben steht dann Paulette Brupbachers «Meine Patientinnen».
Überhaupt, das Nebeneinander von handgreiflichen Büchern hat seine Reize, die die digitalen Ausgaben nicht bieten. Da steht also Günther Anders halbwegs versöhnt neben seiner Ex-Ehefrau und philosophischen Rivalin Hannah Arendt, und, ja, auch Martin Heidegger weselt in der Bibliothek, allerdings in einer anderen Abteilung. Wer das Verhältnis Arendt-Heidegger zu verstehen sucht, kann sich vielleicht in der psychologischen Abteilung kundig machen. Grössere Konvolute gibt es zur Kritischen Psychologie oder zur Zürcher Ethnopsychoanalyse. Gut vertreten ist auch der eigenwillige Wilhelm Reich, mit Raubdruck-Erstausgaben aus der Zeit der Wiederentdeckung in der 68er-Bewegung. Seine «Massenpsychologie des Faschismus» führt beinahe bruchlos zur Ideologietheorie. Da steht vieles, sehr vieles von Louis Althusser aufgereiht, auch die ersten alten, nicht sehr verlässlichen deutschen Übersetzungen. Daneben oder darunter dann – weil Italien nach Frankreich kommt – die zehnbändige Gramsci-Ausgabe aus dem Argument-Verlag.
Dazu führt die Bibliothek auch Zeitschriften. Aktuell laufende und historische. Aus den Anfängen der Arbeiterbewegung wie die «Sozialistischen Monatshefte» oder «Der Kampf», das Organ des Austromarxismus. Aus der Schweiz etwa «neutralität», die Zeitschrift des Nonkonformismus. Noch etwas näher zur Gegenwart hin das «Kulturmagazin», eine wichtige historische Quelle für den Übergang von der «politischen» zur «kulturellen» Linken. Auch das fast vollständige «Kursbuch». Laufende Jahrgänge lassen sich zudem einsehen unter andern von «Luxemburg», das gediegene Organ der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Und natürlich der «Widerspruch». Der war schliesslich ein Motiv für die Gründung der Bibliothek und hat ihr die ursprünglichen Bestände geliefert.
Also, anschauen und lesen.