Am Donnerstag Abend um halb sechs, vor einer Veranstaltung im bücherraum, noch schnell zum Grossverteiler geeilt, dessen genossenschaftliche Ursprünge kaum mehr sicht- und fühlbar sind, und kurz vor der Tür von einem Paar angehalten, was zum üblichen Zögern führte, ob es wohl um Geld gehe, aber es schien doch ein eher gesetztes Paar (welch soziales Vorurteil!), und sie fragten, ob ich wüsste, wo der bücherraum f zu finden sei. Ebenso überrascht wie erfreut beschrieb ich den Weg und fügte an, eben dieser bücherraum sei auch mein Ziel; wenn sie eine Viertelstunde warten könnten, zum Beispiel im Café des Grossverteilers, dann würde ich den Weg gleich mit ihnen beschreiten. In den Vorschlag willigten sie geradezu enthusiastisch ein und gaben mir eine Viertelstunde für meine Einkäufe, was mich doch ein wenig unter Druck setzte, vor allem, weil ich den Bio-Zitronenpfeffer erst nach längerem, zweimaligem Mustern der ganzen Gewürzregale entdeckte; ich hatte trotzdem, schien mir, die gesetzte Frist knapp eingehalten, auch, weil angesichts der sich stauenden KundInnen gerade eine neue Kasse geöffnet worden war, so dass ich meine Warteschlange verlassen und mich an erster Stelle bei der neuen Kasse hatte einreihen können; doch sah ich die beiden mich bei der Drehtür bereits erwartungsvoll erwarten, wobei eine Erwartung zumeist erwartungsvoll ist.
Jedenfalls machten wir uns bei glücklicherweise beendetem Regen auf, und sie erzählten mir ungefragt, dass sie etwa zehn Leute nach dem bücherraum gefragt hatten, aber die meisten hätten nur verständnislos den Kopf geschüttelt, wobei der Mann, etwas tröstend, wie mir schien, beifügte, manche hätten beim Kopfschütteln nicht einmal die Ohrstöpsel aus dem Ohr genommen. Jedenfalls war ich ihnen, in der Adventszeit, geradezu wie ein rettender, säkularer, Engel erschienen. Wie sie denn überhaupt vom bücherraum gehört hatten, wollte ich jetzt wissen. Die Frau hatte, offenbar durch das Programmheft von «Zürich liest» aufmerksam geworden, schon die Lesung von Isolde Schaad besucht, aber das war am Vormittag gewesen, und in der Nacht, in der philosophisch gesprochen alle Katzen grau sind, hatte sie die Lokalität nicht mehr gefunden, was ich ihr nicht verargen konnte. Der Mann hinwiederum war von einem Bekannten nachdrücklich auf uns hingewiesen worden, Attilio B., der tatsächlich bei uns schon beinahe Stammgast ist. Ob denn der Raum immer offen sei, wollten sie wissen, was ich korrigieren musste, aber die Angabe, wir seien nur an zwei Tagen offen, versüsste ich mit dem Hinweis, dass sie heute Abend zusätzlich in den Genuss einer Veranstaltung kämen.
Da trafen wir schon im bücherraum ein, der bereits ordentlich für die kommende Veranstaltung hergerichtet war; und die beiden flanierten müssig aber interessiert durch die beiden Bibliotheken, der Mann begutachte selbst die Doubletten, ohne allerdings fündig zu werden, oder fündig werden zu wollen. Zur Veranstaltung wollte das Paar dann freilich, für einen längeren Aufenthalt nicht vorbereitet, nicht bleiben, doch hinterliessen sie ihre E-Mail-Adressen. Der Name des Mannes, Biologe, Wissenschaftsjournalist, schien mir halbwegs bekannt, und eine kurze Suche auf der grössten basisdemokratischen Allmend ergab, dass er vor gut zwanzig Jahren die Initiative «HOFgesang» gegründet hatte, in der alle zwei, gerade, Jahre Chöre in Hinterhöfen singen, um deren soziales und städtebauliches Potential zu erwecken. Die Website ist nicht ganz auf dem neusten Stand und vermittelt den Eindruck, das Unterfangen sei nur bis 2012 durchgeführt, was aber keineswegs stimmt; tatsächlich wird im geraden Jahr 2024 wiederum ein Hinterhofsingen durchgeführt, und zwar am 8. Mai bis 9. Juni. Der Hinterhof des bücherraums könnte ja ein wenig Belebung durchaus vertragen.